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Zweites Zu Hause in Callantsoog

  • Autorenbild: Lisa Wegmann
    Lisa Wegmann
  • 1. Juli 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Wie kommt man eigentlich auf die Idee Dolmetscherin zu werden? Wovon träumt man als Kind, welche Ideen verfolgt man? Wie bereitet man sich auf die Karriere vor? Wie kommt man da an, wo man nun einmal gerne hin möchte?


Diese Fragen wird jede*r Dolmetscher*in anders beantworten, aber für mich begann die Reise in den Beruf als Dolmetscherin Deutsch-Niederländisch in den Niederlanden. In Noord-Holland, Kreis Schagen, Callantsoog, um genau zu sein. Callantsoog ist eines der hundert Dörfer an der Holländischen Küste, in denen im Sommer fast mehr Deutsch als Niederländisch zu hören ist. Eine der deutschen Stimmen war meine. Ob als Baby im Kinderwagen schreiend, als Kleinkind am Strand brabbelnd, als 10-Jährige kreischend, weil die Geburtstagsgeschenke großartig waren, als Teenager mit Kopfhörern auf den Ohren die aktuellsten Sommerhits mitsingend, oder als Erwachsene Kaffee bestellend.

Meine Liebe zu den Niederlanden verdanke ich meinen Großeltern. Die hatten Jahrzehnte vor meiner Geburt beschlossen, dass Urlaub sich mehr wie Urlaub anfühlt, wenn die Leute um einen herum eine andere Sprache sprechen, als man selbst. Also entschieden sie sich dazu nicht an die Deutsche Küste zu fahren, sondern lieber an die Niederländische. Von Münster aus (wo sie damals alle lebten und ich aufgewachsen bin) ist das Meer sowohl in nördliche, als auch in westliche Richtung etwa 3.5 Stunden weit weg. ABER in den Niederlanden wird Niederländisch gesprochen, das klingt exotisch und darum fühlt sich der Urlaub…urlaubiger an.Warum die Wahl auf Callantsoog fiel, weiß ich leider nicht, aber, dass meine Großeltern, Mutter und Tante jahrelang treu dorthin gefahren sind ist Fakt. Erst wurde gezeltet, dann reichte das Geld für einen kleinen Wohnwagen und 6 Jahre vor meiner Geburt wurde in einen 11 Meter langen Wohnwagen und ein Dauerstandplatz auf dem bereits vertrauten Campingplatz investiert. Und genau da atmete ich im Alter von einem halben Jahr zum ersten Mal Niederländische Meeresluft.


Für meine Großeltern wurde dieser Wohnwagen tatsächlich ein zweites zu Hause. Von April bis Oktober lebten sie in Callantsoog und nicht in dem Münsterschen Haus, in dem auch meine Eltern, mein Bruder und ich wohnten. Sie fuhren nur in den Sommerferien wieder zurück nach Deutschland, um uns zu erlauben Sommerurlaub am Strand zu machen. Zwei Wochen Holland mit Mama, zwei mit Papa. Jedes Jahr.

Jedes Jahr wurden der Wohnwagen, Campingplatz und das Dorf mit vertrauter, sah ich dieselben Kinder, fand ich Ferienfreunde, erwartete ich den Hauptgärtner am Tor Rasenmähen und Rateltje – das Maskottchen des Kinderclubs – laut lachend auf seinem Fahrrad über den Platz sausen zu sehen. Rateltje war eine Art Kreuzung aus Vogelscheuche und Pumuckel und wohnte im sogenannten Praathuus. Dort wurde jeden Morgen gebastelt, mittags Fußballturniere, Fahrradtouren oder Kettkar-rennen organiiert und abends, kurz vor dem zu Bett gehen konnte man Brettspiele oder Bingo spielen. Gelegentlich wurde auch eine Kinderdisco verantstaltet und wir durften bis nach 21:00 wach bleiben!


Die meisten Angestellten des Praathuus und des Campingplatzes sprachen Deutsch, sodass mein kleiner Bruder und ich an allen Aktivitäten teilnehmen konnten. Wie bastelt man einen Talisman und näht den dazugehörigen Beutel? Wie viele Spieler pro Fußballmannschaft? Was, wenn auf der Tabu-Karte ein bekannter Niederländer steht, von dem wir noch nie gehört haben? Die Anleitungen und Regeln konnten wir glücklicherweiser verstehen. Aber die Kinder, die an all diesen Aktivitäten teilnahmen waren meistens strikt in zwei Gruppen unterteilt: Die Deutschen und die Niederländer. Welcher 6-Jährige spricht schon eine Fremdprache?

Je älter ich wurde, desto wahrscheinlicher wurde es, dass Niederländer in meinem Alter in der Schule Deutsch lernten, aber, das bedeutete natürlich noch lange nicht, dass sie diese Sprache auch in den Ferien sprechen wollten. Und Muttersprachler sind immer einschüchternd, wenn man selber eine Fremdsprache spricht…

Eine meiner Ferienfreundinnen hatte es sich zur Aufgabe gemacht in jedem Team spielen zu können und mit allen Campingplatz-Kinder Räuber und Gendarme spielen zu können. Darum lernte sie auf eigene Faust ein wenig Niederländisch. In meinen Kinderohren klang alles, was sie sagte perfekt, fast magisch, wie sie auf einemal permanent “ch” fauchte und tatswahrhaftig mit den Holländischen Kinder kommunizieren konnte. Wie flüssig oder korrekt sie sprach, weiß ich nicht, aber ich war defitniv schwer beeindruckt.


Nicht nur, weil sie mal eben eine Fremdsprache gelernt hatte, sondern auch und vor allem, wegen der Möglichkeiten, die ihr diese Fremdsprache ermöglichte. Auf einmal konnte sie jeden freien Stuhl an den Basteltischen setzen, weil sie die Erklärungen auch da verstehen würde. Weil sie oft genug gegen uns (die Deutschen) Fußball oder Volleyball spielte, da sie auch Niederländische Mitspieler verstehen konnte. Weil sie auf dem Spielplatz jüngeren Kinder beider Nationalitäten sagen konnte, dass sie ruhig stopp schreien dürften, wenn das Karussell zu schnell würde und weil sie mindestens zwei Mal, weinende Kleinkinder zurück zu ihren Eltern bringen konnte, da sie nicht nur das Problem verstand, sondern auch die Beschreibung des Stellplatzes, die das verlorene Kind hervorschluchzte.

Leider habe ich diese Ferienfreundin im Laufe der Jahre aus den Augen verloren und weiß darum nicht, was sie heutzutage so treibt. Ob sie überhaupt noch in die Niederlande fährt, oder die Sprache noch spricht. Aber, wenn ich auf diese Sommer zurückschaue, dann bin ich mir sicher, dass meine Bewunderung für diese Ferienfreundin, die Menschen verschiedener Nationalitäten mit einander verbinden konnte, meine Liebe zu Callantsoog und das Zu-Hause-Gefühl, das es mir gab und gibt, mein Interesse an Sprachen und am Dolmetschen geweckt haben. Auch, wenn ich 2003 noch nicht wusste, was eine Dolmetscherin eigentlich war.


Es dauerte noch 20 Jahre bevor ich mein Dolmetsch-Diplom in Händen hielt. Aber in diesen 20 Jahren bin ich regelmäßig in Callantsoog gewesen. Letztes Wochenende noch. In demselben Wohnwagen, auf demselben Campingplatz. Auch wenn der mittlerweile renoviert und modernisiert worden ist, ist er immer noch eindeutig ein Teil von mir. Und damals wie heute klingt Niederländisch in meinen Ohren nach Meer und Strand, nach Frikandel speciaal mit extra-Sand und nach Urlaub. Das ist sicherlich auch ein Grund, aus dem ich diese Sprache so viel wie möglich hören, sprechen und nutzen möchte.






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